Ooooh! Aaaaah! Neiiiiinnn!... Tarte de Malheur
Trügerisches Rouge: welsche Aprikosen
Auf dem Markt
Für die Gaishirtle war es dann doch zu früh. "Brauchen Sie gar net anfassen. Die sin alle noch hart." Schade, wollte ich mit der recht winzhaften, aber aromatischen Sommerbirne, die im Stuttgarter Umland schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts gedeiht, doch endlich einmal in der Küche hantieren und hatte hierfür eine provenzalische Tarte Tatin de Poires ausgewählt. Nach einigen Runden über den Markt entschied ich mich dann für französische Aprikosen. Ihre noch festen, aber schon karminroten Bäckchen kündeten von südlicher Sonne.
Marillen: trocken (l.) und nass (r.)
Zurück à la maison: das Unglück...
Gewaschen, überbrüht, gehäutet, halbiert, arrangiert und mit Teig bedeckt schob ich sie zu Hause in den Ofen. Nach einem verhängnisvollen Nickerchen auf dem Sofa war die Backzeit verstrichen. Mit scheußlichem Ergebnis: das Teigkissen, das sich über die Tarteform wölbte, glänzte nachtschwarz. Zudem hatte sich der heiße Saft der Aprikosen einen Weg durch die Decke gebahnt, war blubbernd über die Form hinausgetreten und kokelte nun als dicke schwarze Kruste am Boden des Ofens.
Bis hierher ist alles in Ordnung...
Immerhin, die Stäbchenprobe bestand die Tarte mit Bravour. Nachdem das lädierte Stück ausgekühlt war, griff ich nach dem Brotmesser und sägte den Teig, der über die Form stand, kurzerhand ab. Goldgelbes Inneres kam zum Vorschein. Nun gut!
...nimmt seinen Lauf
Das Stürzen klappte, erstaunlicherweise, da ich vergessen hatte, die Form vor dem Backen zu fetten. Nach nur wenigen Minuten hatten sich fast alle Aprikosen gelöst, so dass sich die Form nun mit einiger Vorsicht entfernen ließ.
Die zum Vorschein kommende Tarte gab eine tragische Figur ab. Zerfleddert und zum Rande hin ungesund dunkelbraun ruhte sie vorwurfsvoll auf der Glasplatte. Leichtsinnigerweise hatte ich die Aprikosen vor dem Kauf zudem nicht gekostet, so dass sie erst jetzt ihr fies-saures Innenleben unter den zarten Bäckchen offenbarten. Trotz Karamell mussten sie mit einer großzügigen Portion frischem Honig nachgesüßt werden.
Also, geht doch!
Der Teig, der sie umschloss, war dagegen schmackhaft und luftig. Er erinnerte aber eher an rustikales Honigbrot als an französische Patisseriekunst. Zusammen mit einem ordentlichen Klecks Sahne und einem schönen Cappuccino war das Ganze dann jedenfalls durchaus zu genießen, so dass schließlich doch drei Stücke vom Tellerchen ins Bäuchlein wanderten.
Die Tarte, versöhnlich illuminiert von der nachmittäglichen Sonne
So bleibt mir abschließend zu sagen: Möge der geneigte Leser aus meinen Missgeschicken lernen! In dem im Folgenden dargelegten Rezept sind die mir zum Verhängnis gewordenen Punkte noch einmal besonders herausgehoben. Ich bin mir sicher, dass bei Beachtung der Ratschläge eine ehrliche, wohlschmeckende und auch attraktive Tarte den Kaffeetisch schmücken wird.
Rezept: Tatin d'abricots
Für 6-8 Personen
Zubereitung 50 Minuten
Backzeit etwa 50 Minuten
Wie eigentlich immer beim Backen (wenns nicht gerade ein Soufflé ist) schon vor Ende der angegeben Backzeit in den Ofen schauen. Jedes Exemplar heizt anders, oft sind auch die auf dem Ofen angegebenen Temperaturen nicht die, die dann tatsächlich im Inneren vorherrschen. Zu guter Letzt beeinflusst auch die umgebende Luftfeuchte die Backzeit. Sollte die Oberseite bereits gefährlich braun werden, bevor die Tarte durchgebacken ist, das Ganze mit Alufolie bedecken und eventuell auch eine Stufe tiefer stellen. Andersherum kann die Tarte nach der angegebenen Zeit noch nicht fertig sein, daher ist die Stäbchenprobe (mit Schaschlikspieß, Zahnstocher o.ä.) immer zu empfehlen. Falls keines vorhanden ist, lässt sich notfalls auch ein spitzes Messer verwenden.
etwa 700 g Aprikosen
die Aprikosen sollten reif und süß sein, aber noch fest, so dass sie beim Häuten und Backen nicht zermatschen; vorm Kauf kosten!
4 EL Rosmarin- oder Lavendelhonig
wem der zu teuer ist, der nehme hierfür gewöhnlichen Blütenhonig
150 g Butter, dazu etwas Butter zum Einfetten der Form
2 große Eier
200 g flüssiger Honig
200 g Mehl
2 TL Backpulver
Backofen auf 180°C vorheizen. Eine runde Kuchenform (24 cm Durchmesser) mit Butter einfetten. Wichtig fürs haftungsfreie Stürzen und den optischen Appeal des Gesamtkunstwerks. Eine Springform ist nicht geeignet, da der austretende Obstsaft und der Karamell, der beim Backen wieder flüssig wird, an der Falz herauslaufen würden.
Die Aprikosen in einen Topf mit kochendem Wasser geben. Nach 2 Minuten mit einem Schaumlöffel aus dem Topf heben und kalt abschrecken. Die Schale an den Stielansätzen kreuzweise einritzen und abziehen. Aprikosen halbieren. Muss nicht unbedingt sein, ohne das Häuten ist das Ganze zwar nicht so fein, dafür geht die schöne rote Zeichnung nicht verloren.
Honig in einem kleinen Topf aufkochen und bei mäßiger Hitze unter Rühren köcheln lassen, bis er eine etwas dunklere Farbe annimmt und karamellisiert. Gleichmäßig in die vorbereitete Form gießen. Die Aprikosen mit der runden Seite nach unten nebeneinander in die Form legen.
Für den Teig die Butter zu einer weichen Creme rühren. Die Eier zusammen mit dem Honig mit einem Küchenquirl rund 10 Minuten lang hell und dick schlagen. Mehl mit Backpulver vermengen, durch ein Sieb geben und gründlich unter die Eimasse mischen. Dann die weiche Butter unterrühren.
Die Teigmasse auf den Aprikosen verteilen. Die Unterseite der Form auf eine harte Unterlage stoßen, damit sich der Teig etwas setzt. Den Kuchen etwa 50 Minuten backen. Sollte Saft austreten lässt dieser sich, denke ich, am Besten mit einem mit Wasser gefüllten tiefen Teller oder einer Auflaufform auffangen.
Mit einem Holzstäbchen in der Mitte in den Kuchen stechen. Er ist durchgebacken, wenn das Stäbchen sauber wieder herauskommt, ohne dass noch Teig an ihm haftet. Aus dem Ofen nehmen und abkühlen lassen.
Sobald sich die Form anfassen lässt, eine größere Platte, auf der der Kuchen serviert werden soll, auf sie legen und den Kuchen mit Schwung stürzen. Die Form abheben. Je nach Gusto den Kuchen noch lauwarm oder völlig ausgekühlt servieren. Am Besten mit einem ordentlichen Klecks Schlagsahne!
Mehr Provence?
Das Rezept ist eine Abwandlung der "Tatin de Poires" aus der 2. Auflage des Buchs "Die Küche der Provence: Eine Kochschule für Genießer " von Gui Gedda und Marie-Pierre Moine. Es ist schon im Jahr 2010 erschienen, sehr schön fotografiert, unaufgeregt und liebevoll erzählt, schlicht und stillvoll-zeitlos komponiert und vermittelt beim Blättern das behagliche Gefühl, dem alten Meister in seiner privaten Küche über die Schulter zu schauen.