In love with the coco
Fabelhaftes
Am Anfang war die Nuss. Die Kokosnuss, um genauer zu sein. Und was für ein dickes Ding: hunderte, vielleicht tausende Kilometer umfassend, trieb sie durchs endlose All. Bis sie, einem Wunder gleich, in einer unerhörten Metamorphose von der Biologie zur Geologie, zu unserer Erde heranreifte. So glaubten es die Ureinwohner von Mangaia, einer abgeschiedenen Vulkaninsel mitten im Pazifik.
Im Herzen der heutigen Philippinen, auf den Visayas-Inseln, galt die Kokospalme dagegen als wortwörtlicher Stammbaum der Menschheit. Der erste Mann und die erste Frau seien nach Auffassung der Einheimischen aus zwei Kokosnüssen geschlüpft, hielt der spanische Missionar und Jesuitenbruder Francisco Alzina im Jahre 1668 fest.
Einige Tausend Kilometer westlich, in Sri Lanka, wurde die Herkunft der Kokosnuss auf eine brutale Gottestat zurückgeführt. Ganesha, der listige, wohlgenährte Gott mit dem Elefantenhaupt, war eigentlich mit einem gewöhnlichen Menschenkopf auf die Welt gekommen. Dieser wurde ihm aber, kaum war er von seiner Mutter Parveta aus Lehm und Gangeswasser geknetet worden, gleich wieder von deren tobsüchtigem Mann Shiva abgeschlagen. Der Kopf kullerte davon. Und verwandelte sich in - eine Kokosnuss. Shiva, als er sah, wie sehr seine geliebte Gattin um den Verlust ihres Sohnes trauerte, zeigte Reue. Er setzte dem Rumpf des Ganesha kurzerhand den Kopf eines schlafenden Elefanten auf. So wurde Shiva zum Vater der im indischen Kulturkreis so beliebten Gottheit.
Rußtatoos und scharfe Schnitte
Immer wieder spielt die Kokosnuss eine zentrale Rolle in den Schöpfungsmythen Indiens, Südostasiens und Ozeaniens. Kein Wunder, führt man sich vor Augen, welche Bedeutung die Kokospalme und ihre Nuss dort schon seit Jahrtausenden innehat.
Aus den Stämmen bauten die Menschen Hütten und schreinerten Möbel, mit den Blättern deckten sie ihre Dächer, aus den Blattrippen flochten sie Körbe, die Fasern sponnen sie zu Garn und drehten sie zu Seilen, mit den Schalen fütterten Sie ihre Feuer und selbst der überbleibende Ruß fand noch Verwendung - als Pigment zum Tätowieren.
Von den kurioseren Anwendungen ganz abgesehen. So wird von den Marquesas-Inseln, nordöstlich von Tahiti, berichtet, dass die braunen Schalen als Implantat bei Schädelbrüchen eingesetzt wurden. Das Beschneidungsritual auf den Philippinen hingegen wurde noch in modernen Zeiten mit einer durchlöcherten Kokosschale durchgeführt. Die Vorhaut des Auserwählten wird dabei durch das Loch in der Schale gezogen und mit einem glatten Schnitt des Barbiermessers abgetrennt.
Und auch in mythologischen Ritualen findet sich die braune Schale wieder. Mit dem Rauch, der bei Ihrer Verbrennung entsteht, werden im Norden der Philippinen die "verzauberten kleinen Leute" freundlich gestimmt, die in einem Stein wohnen mögen, durch dessen Berührung man die Bewohner erzürnt zu haben glaubt.
Eine Seefahrt, ...
Die Ausbreitung der Kokospalme im pazifisch-asiatischen Raum fand vornehmlich auf natürlichem Wege statt. Mehr als hundert Tage kann die braune Nuss mit ihrer fasrigen Umhüllung und ihrer grünen, ledrigen Außenhaut im Salzwasser überdauern, ohne ihre Keimfähigkeit zu verlieren. So dürfte sie, im Wasser schaukelnd, von wohlgesinnten Winden und Meeresströmungen mal hierhin, mal dorthin verfrachtet worden sein. Und sich über die weit verstreuten Archipele des indischen und pazifischen Ozeans ausgebreitet haben. Die Araber sorgten dann dafür, dass sie über Madagaskar und Ostafrika nach Spanien gelangte. Von dort aus fand die Nuss mit der Eroberung der neuen Welt in der Karibik eine neue Heimat.
Biologisch gesehen hat die Kokosnuss mehr gemein mit Aprikosen, Mirabellen und Kirschen als mit Wal-, Hasel- oder Pekannuss. Streng genommen ist das, was wir als Kokosnuss bezeichnen, eigentlich der Kern der an den Palmen hängenden grünen Steinfrucht. Das weiße Kokosfleisch und das Kokoswasser im Kerninneren dienen dem neuen Keimling als Nährstoffsreservoir.
Etwa 6 Monate, nachdem die Nuss oder Frucht vom Baum zu Boden gefallen ist, zeigt dieser sich das erste Mal. Es dauert Jahre, bis er zu den stattlichen Palmen heranwächst, die sich auf sehnsuchtsstiftenden Fotos unter blau getränktem Himmel über blendend weiße Strände beugen. Bis zu 30 Meter Höhe erreichen die Palmen. Die Widerständigsten werden ein Menschenleben alt. Viel Wasser brauchen Sie und kühler als 20° Celsius im Mittel darf es nicht werden im kältesten Monat, damit sie gedeihen.
Ran an die Nüsse!
Allein - wie kommt man nun an die Nuss? Auch wenn sie den Beinamen "lazy man's crop", "die Frucht des faulen Mannes", trägt: für die erwerbsmäßige Ernte reichen die gelegentlich vom Baum fallenden Exemplare nicht aus. In Südthailand, Malaysia und Indonesien hat man sich daher tierische Helfer herangezogen. Langschwanzmakaken werden hier seit Generationen dazu ausgebildet, die reifen Nüsse zu erkennen, vom Stiel zu drehen und auf den Boden fallen zu lassen. Zwischen 200 und 1000 (!) Nüsse erntet ein trainierter Affe am Tag, ein vielfaches von dem, was einem Menschen möglich wäre.
Der Einsatz der Makaken ist unter Tierschutzorganisationen allerdings umstritten. So arbeiten die Affen in 8-Stunden-Schichten, werden den ganzen Arbeitstag über an einer langen Leine gehalten und besonders in der Ausbildung teils mit rüden Methoden bis hin zu Schlägen gedrillt.
Zwar finden sich auch Berichte, dass die Tiere - auch aufgrund ihres Wertes - von den Kokosbauern wie ein Mitglied der Familie behandelt würden. Auch sollen sanftere Erziehungsmethoden auf dem Vormarsch sein. Einige Produzenten, besonders aus dem Bio-Bereich, legen dennoch Wert darauf, dass ihre Produkte von Menschen- und nicht von Affenhand geerntet wurden .
In Indien erledigen die Ernte Kokosnusskletterer, die in speziellen Schulen auf ihre Arbeit vorbereitet werden. Auf den Philippinen etwa werden die Palmen dagegen so kurz gehalten, dass die Früchte noch mit Messern an langen Stielen abgeschnitten werden können.
999 Segen
Hat man sich der Nuss erst einmal habhaft gemacht, so eröffnen sich unzählige Möglichkeiten des Gebrauchs. Klassisch dient die Milch aus dem zerkleinerten weißen Fleisch der Nuss als Zutat in unzähligen Curryvarianten Süd- und Westindiens, Malaysias und Thailands.
Das aus dem Kokosfleisch gepresste Öl wird zum Braten verwendet, dient aber auch der Haut- und Haarpflege. Besonders in seiner kalt gepressten Variante werden dem Öl zahlreiche gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben. Von der Darmsanierung über die Auflösung von Gallensteinen und die Behandlung von Epilepsiepatienten bis zum Schutz gegen Magengeschwüre - auch in der Naturapotheke scheint sich die Nuss als Frucht "der 999 Anwendungen" zu beweisen, wie es ein indisches Sprichwort besagt. Die 1000. wurde übrigens nur noch nicht gefunden.
Eine besonders schmackhafte Verwendung findet das Fleisch der Nuss in Thailand und Vietnam. An vielen Straßenständen wird hier Kokosnusseis angeboten, klassisch mit ein wenig gerösteter Erdnuss und manchmal auch Maiskörnern bestreut. Auch wenn mir der Genuss vor Ort bisher verwehrt blieb, fand ich doch in dem 2004 erstmals erschienenen Kochbuch "Vietnam - Küche & Kultur" von Hans Gerlach und Susanne Bingemer ein köstliches Rezept, um das Ganze im deutschen Winter nachzukochen.
Das Autorenpaar hat schon zahlreiche Kochbücher von Superfood bis Alpenküche veröffentlicht und betreibt gemeinsam in München das Journalistenbüro food+text. Hans Gerlach ist seit vielen Jahren zudem Kochkolumnist für das Süddeutsche Zeitung Magazin, seine aktuelle, sehr lesenswerte Kolumne lautet Probier doch mal.
Vietnamesisches Kokoseis
Zutaten für etwa 1 Liter:
400 ml Milch
400 ml Kokosmilch
150 g Zucker
1 EL Speisestärke
100 g frisch geriebene Kokosnuss
2 EL geröstete Erdnüsse, gehackt
250 g saisonale Früchte
Einige Löffel kalte Milch mit der Stärke verrühren. Den Rest der Milch mit der Kokosmilch und dem Zucker zum Kochen bringen. Die gelöste Stärke mit dem Schneebesen in die kochende Flüssigkeit rühren und das Ganze noch einmal aufkochen. Von der Feuerstelle nehmen und vollständig abkühlen lassen.
Dann die Kokosraspel in die Masse einrühren und in einer Schüssel im Tiefkühlfach etwa 2 Stunden gefrieren lassen, bis das Eis fast fest ist. Mit einem Pürierstab alles gründlich pürieren, dann vollständig gefrieren lassen.
Kokoseis in Schüsselchen und mit Erdnüssen bestreut auftischen.
Als Fruchtbegleitung habe ich Mango serviert, die ich zuvor in hauchdünne Scheiben geschnitten und mit 2 EL weißem Rum, 1 EL Limettensaft und 1 EL Agavensirup 1 Stunde mariniert hatte. Damit die Mango dem Messer genug Widerstand für den angestrebten feinen Schnitt entgegenbringt, aber dennoch schon schmeckt, muss sie noch einigermaßen fest, aber trotzdem schon reif sein - gar nicht so einfach.
Besonders die Rumnote macht sich jedenfalls gut zu dem Kokoseis (vgl. dazu Pina Colada ;-). Die Mango allerdings war leider noch ein bissel zu sauer. Mit einer vollreifen, weichen Frucht, bei der die einzelnen Scheiben dann eben ein wenig ausfleddern, werde ich das Ganze mit einiger Zuversicht in den geschmacklichen Erfolg noch einmal versuchen.