Gettin' the blues
Blaubeeren an Minzblättlein
Bêre, Beeri, Besinge?
Griffelbeere und Haarepier, Heilebêre und Krähenauge, Schwarze Besinge oder Schnudderbeeri?!
Der deutsche Volksmund kennt fast unzählige Namen für das, was heute vornehmlich von Juli bis September als Heidel- oder Blaubeere auf Wochen- und Supermärkten über die Auslage geht oder über den Scanner gezogen wird. Ein Beleg dafür, wie populär die Beere in deutschen Landen schon seit Jahrhunderten ist.
Eher eine Frucht der nördlichen Breiten, schien sich der Reiz der blauen Beeren den alten Römern weitestgehend zu entziehen. So berichtet Plinius der Ältere in seiner "Naturalis historia" zwar, dass die Gallier mit den Beeren die Gewänder Ihrer Sklaven purpur färbten. In Italien selbst aber würden die Früchte allenfalls zum Vogelfang gezüchtet.
Von Hildegard zum Superfood
Nördlich der Alpen empfahl Hildegard von Bingen im 13. Jahrhundert den Genuss der Beeren zum ersten Mal zu medizinischen Zwecken. Getrocknet würden sie bei Durchfall und Entzündungen im Mund- und Rachenraum helfen. Wieder einige Jahrhunderte später ging Sebastian Kneipp, heute vor allem durch die nach ihm benannten Wasserkuren bekannt, noch weiter. Kein Haushalt solle darauf verzichten, für die gesundheitliche Versorgung übers Jahr hinweg in der Erntezeit einen guten Vorrat an Heidelbeeren zu dörren.
Die moderne Schulmedizin gibt den Pionieren Recht. So fördert die Gerbsäure, die sich in den getrockneten Beeren konzentriert, tatsächlich die Arbeit der Darmschleimhaut und wirkt entzündungshemmend. Die größte Heilkraft gehe aber von der blauen Farbe der Früchte aus. Die dafür verantwortlichen Farbstoffe, so genannte Anthocyane, sollen dem Krebs vorbeugen, vor Arterienverkalkung schützen, das Gedächtnis stärken, den Gehirnstoffwechsel ankurbeln und selbst Depressionen lindern.
Zähmung der Wilden
Um in den Genuss dieser Vorzüge zu gelangen, blieb einem noch vor hundert Jahren ein Gang in den Wald oder ins Moor nicht erspart. Die in unseren Breiten heimische Wildheidelbeere gedeiht zwar von Natur aus recht üppig auf sauren Böden in Heiden, Mooren oder lichten Kiefern- und Fichtenwäldern. Sie widersetzt sich aber dem gezielten Anbau.
Erste Kultivierungsversuche an amerikanischen Verwandten wurden in den USA, in New Jersey, kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs durchgeführt. Die Ureinwohner Nordamerikas hatten wohl schon Jahrtausende lang wilde Früchte aus der Familie der Heidelbeere gesammelt - und anschließend nicht nur frisch verzehrt, sondern auch getrocknet, zu Mehl verarbeitet und zu Fladen gebacken. Grund genug für den amerikanischen Naturphilosophen Henry David Thoreau, in seinem "Lob der Wildnis" die Vorzüge der Frucht über mehrere Seiten hinweg detailliert zu preisen.
Immigrant von der East Coast
Nachdem die amerikanischen Zuchtversuche erste Erfolge zeitigten, gelangten in den 1930er Jahren dann die ersten Kulturpflanzen nach Deutschland. Und wurden dort auf immer größeren Flächen angebaut. So kommt es, dass die heute im Supermarkt erhältlichen Kulturheidelbeeren in Nordamerika verwurzelt und nur entfernt mit unseren heimischen Wildheidelbeeren verwandt sind.
Die USA produzieren heute unfassbare 90 Prozent des weltweiten Bedarfs. Die größten Anbauflächen für Kulturheidelbeeren in Deutschland liegen in der Lüneburger Heide, in Brandenburg, um Oldenburg, in Mittelbaden und in weiteren Gebieten Baden-Württembergs und Bayerns. Heidelbeeren aus der Zucht sind zwar bei weitem nicht so aromatisch wie ihre wilden Verwandten. Auf Grund ihres hellen Fruchtfleischs enthalten sie auch weniger Anthocyane. Sie sind aber immer noch eine köstliche und auch gesunde Beigabe für eine ganze Reihe von wohlschmeckenden Desserts.
Naschwerk vom Großmeister
Neben Himbeeren, Erdbeeren, Feigen und einem ganzen Strauß weiterer Früchte eignen sich Heidelbeeren wunderbar für die Herstellung einer besonderen Preziose der Pâtisserie: den mit schmackhafter Konditorcrème gefüllten Tartelettes, kleinen "Obsttörtchen", die zum Verzehr durch eine Person gedacht sind. Neben den Éclairs sind sie zu den absoluten Klassikern der süßen französischen Backwaren zu zählen.
Die Törtchenböden, frisch aus dem Ofen
Das folgende Rezept ist eine geringfügige Abwandlung aus dem Buch "Ofenfrisch" von Michel Roux. Es ist im Jahr 2009 erschienen. Der Sohn eines Wurstwarenhändlers arbeitete nach seiner Ausbildung zum Patissier im Paris der 1950er Jahre unter anderem für die Britische Botschaft und einen Sprössling der Rothschilds, eröffnete nach Ableistung des Militärdiensts in Algerien mit seinem Bruder zwei Restaurants in London, wo er den gealterten Charles Chaplin zu seinen Stammgästen zählte, wurde über mehrere Dekaden hinweg vom Guide Michelin mit 3 Sternen bedacht und, neben vielen anderen Ehrungen, von der französischen Nation in den Ritterstand erhoben.
In seinem Buch befasst er sich ausschließlich mit der Kunst des feinen Backens. Er legt äußersten Wert auf die entscheidenden Details und wählt im Zweifelsfall immer die aufwändigere Zubereitung. Gerade diese Hingabe an die Vervollkommnung und, natürlich, die Qualität der Ergebnisse, begeistern mich sehr. Jedem, der ein wenig Liebe für die französische Backkunst im Herzen trägt, kann ich das Werk uneingeschränkt empfehlen.
Die genannten Backförmchen lassen sich nicht in jedem Supermarkt erstehen. Sie sind im Zweifelsfall aber leicht online zu finden.
Rezept: Tartelettes aux myrtilles
Für den Mürbeteig:
125 g Mehl
100 g weiche Butter, in Stücken
50 g Puderzucker, gesiebt
1 schwache Prise Salz
1 Eigelb
Für die Konditorcrème:
3 Eigelb
60 g Zucker
20 g Mehl
1/4 l Milch
1/2 Vanilleschote, längs halbiert
etwas Puderzucker zum Bestäuben
ca. 250 g Heidelbeeren
Fini: die vollendete Spezerei
Mürbeteig auf einer leicht bemehlten Arbeitsfläche auf eine Stärke von 2 mm ausrollen. 6 Teigkreise mit je 14 cm Durchmesser ausstechen oder ausschneiden. Die Teigstücke in Törtchenformen mit 10 cm Durchmesser und etwa 2 cm Höhe legen und andrücken. Mit einem Nudelholz über die Kanten der Förmchen rollen, um den überstehenden Teig abzutrennen. Förmchen für mindestens 20 Minuten in den Kühlschrank stellen.
Den Backofen auf 180° C vorheizen. Den Teigboden mit der Gabel 2 bis 3 Mal einstechen. Förmchen mit zurechtgeschnittenem Backpapier belegen, dann bis zum Rand mit getrockneten Hülsenfrüchten füllen. 10 Minuten lang blindbacken. Dann die Hülsenfrüchte und das Papier entfernen und weitere 5 Minuten backen. Den Teig aus den Förmchen nehmen und abkühlen lassen. Die Törtchenböden lassen sich nun direkt weiterverarbeiten oder, luftdicht verschlossen, für einige Tage aufbewahren.
Für die Konditorcreme die Eigelbe mit einem Drittel des Zuckers cremig schlagen. Das Mehl sorgfältig unterrühren.
Vanilleschote mit Milch in einen Topf geben und mit dem restlichen Zucker erhitzen. Die aufkochende Milch unter Rühren zur Eimischung geben und das Ganze wieder in den Topf gießen. Unter ständigem Rühren aufkochen und 2 Minuten sprudelnd kochen, dann in eine Schüssel gießen.
Die Crème mit einem dünnen Schleier aus Puderzucker überziehen, damit sich keine Haut bildet. Im Kühlschrank hält die abgekühlte Crème bis zu drei Tagen. Vor der Weiterverwendung die Vanilleschote entfernen.
Die Törtchenböden bis zum Rand mit der Konditorcreme befüllen und mit den Blaubeeren belegen. Mit einem Minzblättchen krönen. Et voilà!