Happy Hipó
Ojo de Agua, Plaza Citlaltépetl 23 C, Esquina con Amsterdam, Colonia Hipódromo, Condesa, Ciudad de México
Lauschiger Nachmittag vorm Ojo de Agua
Viva la gentrificación!
Ein dicker, schwarzer SUV, auf dessen Chromgrill der GMC-Schriftzug prangt, hält am Bordstein, zwei Töchter aus gutem Hause springen heraus. Der Fahrer, im weißen Hemd, die Augen hinter einer Sonnenbrille, die dunklen Haare zurückgekämmt, dreht noch eine Runde im Kreisverkehr, bevor er das Gaspedal durchtritt und davonzieht. Die Mädels setzen sich auf zwei der abgewetzten Schemel an den Holztischen, neigen sich, die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt, aufeinander zu und tauchen in die Unterhaltung ab.
Vor dem Café flanieren, unter immergrünem Blattwerk und den violetten Blüten der Jacarandabäume, junge Pärchen, der mitgeführte Hund eilt an der Leine voraus, oder bleibt zurück, um an verheißungsvollen Baumstämmen oder Mülleimern zu schnüffeln. Jogger, mit iPhone um den Oberarm geschlungen und Kopfhörern im Ohr, lassen sich im Café aus einer Auswahl aus den in Holzkisten dargebotenen Mangos, Guaven, Orangen, Selleriestangen, Ananas, Schlangenkürbissen, Äpfeln, Papaya und Kiwi einen Saft auf den Weg mixen. An den Tischen des Cafés, des Ojo de Agua, im Viertel Hipódromo, im Südosten von Mexico-City, hat sich eine bunte Mischung aus stylischen Schülern, braungebrannten Damen in Sommerkleidern, haarigen Hipstern und Expats in ausgewaschenen T-Shirts zusammengefunden, um dem gepflegten Müßiggang zu frönen.
Spielplatz der upper crust
Das Etablissement liegt Mitten im Herzen von Hipódromo, direkt an der Avenida Amsterdam. Deren ovale Form folgt dem früheren Verlauf der Pferderennbahn, die dem Stadtviertel seinen Namen gab.
Die Rennbahn diente Anfang des 20. Jahrhunderts eine gute Dekade lang der Belustigung der ortsansässigen Aristokratie. Auch frühe Sportwagenlenker gaben sich hier dem Rausch der Geschwindigkeit hin, und Flugzeuge starteten von der ebenen Freifläche. Die Mexikanische Revolution machte der Zerstreuung der Eliten ein Ende. Das Areal wurde in ein - allerdings recht feudales - Wohngebiet mit dem Parque México im Herzen umgewandelt.
Zwischen den Bäumen blüht das Art-Déco
Die breiten, baumbestandenen Avenuen machen das Viertel,wenn auch verkehrsumtost, bis heute zu einem der reizvollsten und gefragtesten in der Hauptstadt. Die immer wieder zwischen den Baumkronen emporsteigenden Art-Déco-Fassaden, welche von einer ersten, von jüdischen Einwanderern aus Osteuropa und spanischen Bürgerkriegsflüchtlingen befeuerten kulturellen Blüte des Viertels in den zwanziger und dreißiger Jahren künden, tun dazu ihr übriges.
Delicatessen
Unter dem Gezwitscher der Vögel im Blätterdach ordere ich bei Samuel (Interview unten) eines der Sandwiches von der Karte. Neben den frisch gepressten Säften, die unter anderem den Verdauungstrakt, das Abwehrsystem oder den Kreislauf stärken oder eingelagerte Toxine, die Grippe oder Cellulite bekämpfen sollen, zählen sie zu den Spezialitäten des Etablissements.
Knusprige Weißbrotrinde schimmert in karamell
Der "clásico-deli", der auf dem in México-City allgegenwärtigen Emaille serviert wird, macht seinem Namen alle Ehre: nach bester amerikanischer Art ist der Sandwich daumendick mit feingeschnittenem, saftigem Kochschinken belegt. Umrahmt wird dieser von geschmolzenem Käse, der sich an knusprig geröstetes Weißbrot mit karamellbraun schimmernder Rinde schmiegt. Einige Späne Parmesan und ein paar Blättchen Oregano krönen die gelungene Breitseite. Der sehr frische Salat, mit Gurken und Kirschtomaten ergänzt und an einer einfachen, guten Vinaigrette serviert, erhält durch karamellisierte Sesamkörner eine gewisse Raffinesse und erleichtert den Genuss des opulenten Doppeldeckers.
Der "clásico-deli" (l.) , ein Pain au chocolat (h.) und ein Mandelcrème-Croissant (v.)
Und was Süßes !?
Obwohl die süßen Backwaren augenscheinlich ein Schattendasein fristen und auf der Karte nicht einmal erwähnt werden, sind auch sie äußerst gelungen: das mit Mandelcrème gefüllte Hörnchen und das Pain au Chocolat brauchen den Vergleich mit französischer Patisseriekunst nicht zu scheuen. Der dazu bestellte Cappuccino wird in - ob ihrer Grobschlächtigkeit recht kuriosen - Keramikbechern serviert. Gemäß vom Autor eigens in Mexico-City geeichter Messlatte, wo selbst in dezidierten Kaffee-Spots, die bis zum nächsten Block von Menschenschlangen belagert werden, die dampfende Brühung aus einer 2-Liter-Plastikkaraffe in den Becher schwappt, ist er durchaus akzeptabel.
Ein kurzer Plausch mit... Samuel
Hallo Samuel! Zuerst einmal: wie alt bist Du?
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Was machst Du?
Ich bin hier Kellner.
Seit wann arbeitest du hier?
Seit einem Jahr.
Was isst du hier am liebsten?
Chilaquiles [in roter oder grüner Soße servierte Tortilla-Chips; beliebt zum Frühstück in México] mit geriebenem Käse, Tomate, Zwiebeln und Avocado
Und was magst du sonst am liebsten?
Bistecce vom Kalb und gegrilltes Fleisch in allen Varianten.
Was bestellen die Leute hier am häufigsten?
Den "Hamburguesa Wagyu Ciruela Deli" [mit Pattie vom Waygu-Rind, Schweizer Käse, Pflaumensalsa mit geräuchertem Jalapeño und Pistazie, grobem Senf, Ketchup, hausgemachter Mayonnaise, im Vollkornbrötchen serviert, mit Salat und Tomate] und den "Atún-Spicy-Deli Sandwich" [mit gebratenem Thunfischfilet, karamellisierten Zwiebeln, Rote-Beete-Chips und scharfer hausgemachter Mayonnaise]
Wo in Mexiko gibt es das beste Essen?
Puh, das ist schwierig. Das tolle hier [in Mexico-City] ist, dass man die Auswahl zwischen den Küchen aus allen Regionen hat.
Was machst du in deiner Freizeit?
Ich spiele Basketball, mit meinen Kumpels und im Verein, bei den Udones.
Hast du einen Traum?
Ja, ich will in den militärischen Dienst.
Alles klar, vielen Dank!